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"Spezialmeßflug" mit der 373

Das Unternehmen "Diskant"
von Volker Liebscher

„Schirmherren" dieser Maßnahmen waren der Chef der Verwaltung Aufklärung Generalleutnant Alfred Krause und der Leiter der für ELOKA zuständigen Hauptabteilung III des Ministeriums für Staatssicherheit, Generalmajor Horst Männchen. Dementsprechend war an der konkreten Planung, Vorbereitung und Realisierung der Flüge Personal beider Organe beteiligt (Offiziere, Berufssoldaten und Unteroffiziere des Funkaufklärungsregimentes 2 – Zentraler Funkdienst der NVA und Offiziere der HA III des MfS). Für die Letztgenannte war ich von April 84 bis März 1987 im Einsatz. Bei uns hießen diese Maßnahmen „Relais". Detailinformationen vor allem über Maßnahmepläne, spezifische Aufgabenstellungen und Ergebnisse sind sicher in den von Frau Birthler gehüteten Archiven zu finden. Durch die „Diskant" Flüge wurden keine neuen oder speziellen Aufgaben erfüllt. Sie stellten hauptsächlich eine Erweiterung der technischen Möglichkeiten bei der Erfüllung der Aufgaben zur Aufklärung des (militärischen) Gegners dar. Das beide Generale der Maßnahme ein hohe Bedeutung beimaßen, läßt sich schon daran ablesen, das sie mehrfach persönlich „vorbeischauten". Das erste mal waren sie beide am 01.08.1985 anwesend. Eine zweite Inspektion erfolgte dann im Beisein von Generalleutnant Krause und Generalmajor Rother am 27.11.1986.
Der erste Flug fand am 03. April 1984 als Testflug mit 140 Minuten Flugdauer statt. Mit welcher Maschine weiß ich nicht mehr genau. Es könnte die „375" gewesen sein. Bis Ende 1987 kamen verschiedene Maschinen und über den gesamten Zeitraum auch mehrere Besatzungen bei „Diskant" zum Einsatz. Ich persönlich bin mit etwa einem Dutzend verschiedener Kommandanten in der Luft gewesen. Mit ausnahmslos jeder Besatzung war es ein gutes Arbeiten. Ab Anfang 1985 wurde hauptsächlich die „DDR SBD" (später wieder „376") eingesetzt. Grund für diese zivile Bezeichnung nach Interflug-Muster und dem damit verbundenen silbergrauen Anstrich war, das die Maschinen zu dieser Zeit ebenfalls bei Hilfseinsätzen in Athiopien eingesetzt wurden. Dort transportierten Besatzungen der TS-24 mit ihren AN-26 sehr erfolgreich Getreide für die hungernde Bevölkerung. Dieser Einsatz konnte selbstverständlich nicht mit NVA-Bemalung und taktischer Kennzeichnung erfolgen.
Eigentlich war eigens für „Diskant" eine Maschine bestellt, welche speziell konfiguriert werden sollte. Deren Lieferung hatte sich wohl verzögert, so das diese, die „373" erst ab November 1986 zum Einsatz kommen konnte. Bis dahin wurde wie schon gesagt, zumeist die „SBD/376" geflogen. Zum Einsatz kam aber ebenso die „SBC/364" die „SBE/371" und die „374".
In den Laderaum der jeweils genutzte Maschine wurden eigens konstruierte Arbeitsplätze bestehend aus Tisch und Sitzbank, am Transportband eingebaut, insgesamt 5 hintereinander. Die vorderen vier Arbeitsplätze nutzten die Kräfte der NVA, den hintersten unmittelbar an der Ladeluke gelegenen die MfS-Mitarbeiter. Das diese am „Katzentisch" saßen hatte damit zu tun, das sie nur einmal monatlich, für 2 bis 4 Tage teilnahmen und die Ausrüstung mit Technik somit unkompliziert und schnell vonstatten gehen konnte.
Jeder Arbeitsplatz verfügte über eine eigene Stromversorgung über Generator. Die Stromversorgung wurde aus dem Cockpit erst dann zugeschaltet wenn das Startregime beendet und die Maschine in der festgelegten Flughöhe war. Die ab 25.11.86 für „Diskant" eingesetzte „373" verfügte über weitere spezielle Einbauten. Das war schon rein optisch zu sehen. Die kugelförmigen Fenster, wie sonst nur am Navigatorplatz waren auch an den beiden hinteren Fenstern beidseitig eingebaut. In diesen konnten spezielle Antennen eingesetzt werden. Zusätzliche Antennen waren werksmäßig an der Zelle angebracht und zu den Arbeitsplätzen verkabelt. Die Antennen erlaubten eine Bearbeitung des Frequenzspektrums von unter 30 Mhz bis oberhalb 12 GHz. Abgeglichen wurden die Aufklärungsresultate anhand eines zeitlich exakten Lagefilms der Meßergebnisse mit den Streckenzeiten des Fluges.
Zur Durchführung der Flüge gab es zwei Standardstrecken und aufgabenbezogene Zonenflüge (z.B. bei NATO Manövern „gegenüber" dem Manöverraum). Strecke 1 führte in 6100 m Höhe von Dresden über Karl-Marx-Stadt, Neustadt, Steinbach-Hallenberg, Bad Frankenhausen, Stendal, Wilsnack, Schwerin, Wismar und 3 weitere Seewendepunkte nach Peenemünde. Strecke 2 verlief in 3650 m von Dresden über Karl-Marx-Stadt, Plauen, Saalfeld, Schleusingen, Bad Salzungen, Bleicherode, Nordhausen, Halberstadt, Gardelegen, Wittenberge, Hagenow, Grevesmühlen, Klütz und 4 Seewendepunkte ebenfalls nach Peenemünde. Dort wurde aufgetankt und die gleiche Route zurückgeflogen.
Häufig wurde bereits über Schwerin oder Klütz gewendet und zum Ausgangspunkt Dresden zurückgeflogen oder eben in Laage zwischengelandet und zu Rückflug gestartet. Die Fluggeschwindigkeit betrug etwa 420 km/h. Während der Flüge wurden wir selbstverständlich vom gegnerischen Radar erfaßt und begleitet. Schon aus der Flugroute entlang der Grenze ließ sich die Aufgabenstellung ableiten. Zudem wurden wir beim Fliegen über See begleitet. Das konnte passieren durch Jagdflugzeuge, welche natürlich auch Scheinangriffe vornahmen oder aber, was eigentlich das gefährlichere war, durch Aufklärungsmaschinen der anderen Seite. Konkret durch SIGINT Versionen der seit 1966 bei der Bundesmarine eingesetzten BREGUET 1150 Atlantik. Diese waren sicher bestrebt exakt aufzuklären welche Frequenzbereiche durch uns aufgeklärt wurden. Unangenehm waren diese Begegnungen vor allem aber für unsere Flieger, bedeutete es doch für sie zusätzliche Schreibarbeit.

   


Gegnerkontakt über der Ostsee

Parallel zum Grenzverlauf fliegende Luftfahrzeuge blieben an einer sensiblen Grenze, wie der zwischen NATO und Warschauer Vertrag selbstverständlich auch auf NATO-Seite nicht unbeachtet. Bei den Flügen „Diskant“ führte die Strecke manchmal über die Ostsee. Hier fand sich Gelegenheit der „Besichtigung“ unserer Maschine. So kam es zu, von uns nicht gewünschten Treffen, mit Jagdflugzeugen nordischer Länder. Noch unangenehmer waren jedoch die hautnahen Kontakte mit Breguet 1150 Atlantic Überwachungsflugzeugen des BRD-Marinefliegergeschwaders 3 (MGF3). Im Beitrag „Das Unternehmen Diskant“, als auch im Buch „Geheime Aufklärungsflüge Relais“
( http://aerolit.de/index.php?id=14 ) berichtete ich über diese Begegnungen mit Militärflugzeugen der „anderen Seite“.
Mangels entsprechender Dokumente konnte ich zur Zeit der Veröffentlichung dieser Texte nicht sicher sagen, ob es sich bei den Breguet gar um SIGINT/COMINT Maschinen handelte. Bei Recherchen in den Dokumenten- und Fotobeständen der BSTU bin ich inzwischen auf die Fotos gestoßen, welche damals von Bord unserer AN 26 entstanden. Diese zeigen die Breguet 1150 Atlantic 61+03. In diesem Fall einer Begegnung handelt es sich also um eine echte elektronische Aufklärungsmaschine. Nach den mir nun vorliegenden Daten, fand diese Begegnung am 2.10.1984 gegen 10:55 Uhr statt. In unserem damaligen Einsatzbericht wird von einer Annäherung auf 30 – 50 m gesprochen.
Noch 30 Jahre später bedaure ich die Crew der „368“. Nicht nur, das es sicherlich unangenehm ist, in so geringem Abstand zu einem anderen Flugzeug zu fliegen, es waren mit Gewissheit viele Blätter Papier zu beschreiben, um über den Vorfall zu berichten.
Die Daten der Begegnung werden durch die damalige Gegenseite bestätigt. Zeigen doch Fotos auf der Internetseite http://www.manfred-bischoff.de die „Diskant“
AN 26 mit der Bordnummer 368. Noch zu prüfen bliebe, was die Besatzung der 61+03 über dieses Treffen berichtete.
Ich hoffe einmal, dass auch dieses noch geklärt wird, um in einer Neuauflage meines Buches darüber berichten zu können. Ich bin da recht optimistisch fündig zu werden, zeigt sich doch, dass das Verständnis zwischen echten ehemaligen Gegnern an der Aufklärungsfront des kalten Krieges erheblich größer ist, als es bei Politikern und Medien der Fall ist.
In jener, bei uns als Relais III/3 bezeichneten Maßnahme wird über zwei weiter Begegnungen geschrieben. Am 5.9.1984 näherten sich demnach um 13:45 Uhr ein schwedisches, und am 28.9.1984, 10:57 Uhr ein dänisches Kampfflugzeug an unsere Maschine an. Der Schwede soll nur 50 m entfernt gewesen sein.

 
Quelle der Fotos: BSTU MfS-HA-III-6148-Seite-0245-

Volker Liebscher


Die Aufnahmen der 368 entstanden während eines Diskant - Einsatzes über der Ostsee am 02.10.1984 aufgenommen aus der Breguet 1150 „Atlantic“

   

Ich danke Herrn Liebscher für seine Beiträge  und Herrn Bischoff für die Fotos der 373 und 368.

 

 

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